Anatomie by Bass jefferson

Anatomie by Bass jefferson

Autor:Bass jefferson [jefferson, Bass]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-02-05T05:00:00+00:00


22

Stundenlang hatte ich mich hin und her geworfen, bis ich endlich eingeschlafen war, und zwar wohl tief und fest. Denn jetzt fühlte es sich an, als triebe ich vom Boden eines Meers aus Sirup nach oben auf ein fernes Geräusch zu, das sich als das Klingeln des Telefons an meinem Bett herausstellte. »Hallo«, nuschelte ich.

»Doc?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung war belegt und undeutlich. »Ich bin’s.«

»Ich« war, soweit ich das sagen konnte, ein betrunkener Tom Kitchings. »Sheriff? Wie spät ist es?«

»Weissnich. Ziemlich spät. W’scheinlich richich spät. Tut mir leid deswegn.«

»Haben Sie einen Notfall, Sheriff?« Ich rieb mir die Augen und schaute auf die Uhr. Die blau-grünen Ziffern zeigten 3:17.

»Das nu nich.«

»Haben Sie getrunken, Sheriff?«

»Hab getrunken. Trink noch. Hab ’n bisschen innern Friedn gesucht. Und stattdessen Southern Comfort gefunden. Vasteh’nsemich, Doc?«

Ich verstand ihn. Ich trank selbst nicht – Trunkenheit war meinen Schwindelanfällen zu ähnlich, um wirklich einen Reiz auf mich auszuüben –, aber ich hatte genug Zeit in der Nähe von Studenten verbracht, um zu wissen, dass Southern Comfort ein süßer, billiger Likör war, berüchtigt für brutale Kater. »Warum sind Sie noch auf und trinken, Sheriff?«

»Ich krieg diesn Fall einfach nicht gelöst, Doc. Ein verdammtes Rätsel, wissense?«

»Nun, das ist am Anfang bei den meisten Fällen so«, sagte ich. »Deswegen brauchen wir Sheriffs, Ermittler und Rechtsmediziner.«

»Ach, zum Teufel, das mein ich nicht. Ich red von Gamilienfeheimnissen. Ich meine, Familiengeheimnissen. Dreißig Jahre hab ich geglaubt, Leena war weggelaufen. Dreißig Jahre lang hat man mir das erzählt. Irgendwohin – niemand wusste, wohin. Wir ham nich darüber gesprochen – man wusste einfach, dass man darüber nicht sprechen sollte.« Er unterbrach sich, und ich hörte ein Zischen und ein Schlucken. »Ham Sie Familie, Doc?«

Ich sagte, ich hätte einen Sohn – einen eingefleischten Tennessee-Volunteers-Fan und einen großen Bewunderer von Kitchings’ Collegelaufbahn –, und dass meine Frau vor zwei Jahren gestorben sei.

»Verdammt, Doc, tut mir leid, das zu hörn. Wirklich leid.«

»Danke. Ich vermisse sie immer noch. Sehr. Aber man muss weitermachen.« Pause. »Waren Sie je verheiratet, Sheriff?«

»Nee. War mal verlobt, damals, als ich noch ’n großer Football-Star war. Sie war Cheerleader und Mitglied einer Studentinnenvereinigung. Und obendrein Debütantin in Memphis. Ziemlich hoch hinaus für einen Redneck aus Cooke County. Sie hat mit mir Schluss gemacht, kurz nachdem mein Knie mit mir Schluss gemacht hatte. Die Sache ist nur die, dass sie mir den Appetit auf die Mädchen in Cooke County verdorben hat, wenn Sie verstehn, was ich mein?« Das sei eine Schande, sagte ich; das Leben sei mächtig einsam ohne Frau. Darüber schien er eine Weile nachzudenken. Als er wieder das Wort ergriff, war ich mir nicht sicher, ob er immer noch über die Liebe nachdachte oder ob er ein neues Thema zur Sprache brachte. »Die Leute in Cooke County ham nich viel, Doc«, sagte er. »Ein paar von uns ham halbwegs anständige Jobs, aber die meisten Leute hier oben leben, seit ich denken kann, vonner Hand innen Mund. Vielleicht ist deshalb die Familie so wichtig für uns. Selbst wenn man mit dem Rücken an der Wand steht – besonders wenn man mit dem Rücken an der Wand steht –, hält die Familie zu einem.



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